Tag 7: Jedermannsrecht

Auf der heutigen Etappe soll es vom Griebnitzsee aus über die Glienicker Brücke bis nach Kladow gehen. Auf dem Weg von der S-Bahn ans Wasser passieren wir ein Wohngebiet. An den Balkonen und Garagengittern hängen selbstgemalte Transparente: „Familie XY ist für den öffentlichen Uferweg“ und „Griebnitzsee für alle“ steht da zu lesen. Am See angekommen, können wir nicht weiter laufen: der Uferweg ist mit Bauzäunen versperrt von denen, die augenscheinlich nicht für einen Uferweg für alle sind - wir müssen auf die Straße ausweichen.



Ein Mann begegnet uns, er sch
iebt ein Fahrrad mit seinem vielleicht dreijährigen Sohn im Kindersitz. Als sich unsere Wege kreuzen, erklärt er dem Kind: „Ja, da haben böse Leute den Weg zugemacht. Deshalb kommen wir da nicht weiter.“
Wir umrunden das Haus Erlenkamp, die sogenannte Truman-Villa. Heute ist dort die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit untergebracht. Auf dem Gelände sind kleine Wegweiser angebracht, die ‚Fußgänger, Kinder und rücksichtsvolle Fahrradfahrer´ ausdrücklich begrüßen: „Wir sind für die Freiheit.“
Uns wird klar, dass wir uns auf umstrittenem Terrain befinden. Etwas Bedrückendes liegt in der Luft. Wir versuchen, erneut zum Ufer zu gelangen.

Ein dicker Ast versperrt den Weg am Haus vorbei zum Ufer. Am Wegrand rechts stehen hohe, alte Bäume. Wir suchen in den Baumkronen die Stelle, an der der Ast – vermutlich durch eines der schweren Gewitter des Vortags - abgebrochen ist. Ein Mann kommt auf uns zu. Seine Schritte knirschen ortskundig-sicher auf dem Kiesweg. Überrascht nimmt er den Ast wahr, als wollte er sagen: Der lag aber gestern noch nicht da. Mit uns sucht er die Abbruchstelle; wir finden sie nicht. Er denkt nach. Dann erinnert er an den Schriftsteller Ödön von Horváth, der 37-jährig in Paris von einem ebensolchen Ast erschlagen wurde. Wir kommen ins Gespräch und erwähnen, dass wir wieder auf den Uferweg wollen. Als bräuchte es nur einen kleinen Impuls, erzählt er uns von den Anwohnern, die den Uferweg abgesperrt haben – am Tag, an dem die Stadt Potsdam den zweiten Prozess gegen die klagenden See-Anrainer verloren hat. Neureiche und zwielichtige Gestalten seien das, vertraut er uns an. Mittlerweile sei sogar ein Ausschuss gegründet worden, der die ganzen Vorgänge auf Korruption hin untersucht. Er selbst sei aktiv, ja, und der Regisseur Volker Schlöndorff – selbst Griebnitzsee-Anwohner – wäre ebenfalls Unterstützer der „Initiative Griebnitzsee für alle“.
[
http://www.griebnitzseeufer.de/]

Von Polizisten erzählt er, die jugendliche Protestierer brutal auf den Boden drücken und von den Polizisten, die nicht auftauchen, als die Bagger anrollen um den ehemaligen Kolonnenweg mit Sand zuzuschütten und somit unpassierbar zu machen.
Als wir weitergehen, sagt er: „Also, macht´s gut ihr lieben Leute!“ und schickt die Bitte hinterher: „Wenn ihr auch etwas tun möchtet, dann unterschreibt doch auf einer unserer Listen…“

P.S.: Interessant ist diesbezüglich die Gesetzgebung in England und Wales, was „freedom to roam“ und „rights of way“ angeht: es ist „Jedermannsrecht“, gekennzeichnete öffentliche und auch private Grundstücke in friedlicher Absicht zu überqueren und die Natur zu genießen, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen an Grund und Boden.

[http://en.wikipedia.org/wiki/Freedom_to_roam]
[http://en.wikipedia.org/wiki/Rights_of_way_in_England_and_Wales]


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen