Die taz veröffentlicht seit dem 06.07.2009 Artikel über die jeweils 10 km langen Etappen des Mauerwegs, den ihre Redakteure ablaufen. Wir liegen bei unserem ´Mauerspaziergang´ etwas vor ihnen im Weg (zumindest in den Teilen, die sie bis jetzt veröffentlicht haben) und ich staune beim Lesen über die unzähligen Möglichkeiten, die der Weg bietet, wahrgenommen zu werden. Manche Sätze erinnern mich: ´Ja, genau, so war das, als wir da entlanggelaufen sind.´ Andere Stellen bleiben fremd und der Eindruck drängt sich auf, dass da jemand entlanglief, der den Auftrag dazu hatte und nicht, weil es eine Herzensangelegenheit war.
Auf unserem Weg begleiten uns Fragen. Zum Beispiel: Was bewegt (mich)? Was verändert (sich/mich)? Wie bemerke ich Veränderung? Was wird konstruiert? Wie wird konstruiert? Welche Landschaft finde ich vor? Welche Landschaft entsteht? Bin ich auf dem Weg? Wie finde ich den Weg? Gibt es ´Wächter des Wegs´? Jeden Tag, auf jeder Etappe, gibt es andere Antworten auf diese Fragen. Und noch mehr Fragen. Manchmal – wie zwischen Treptow und Neukölln – ist es schwer zu erkennen, wo exakt die Mauer verlief. Natürlich ist der Weg mit den Hinweisschildern ´Berliner Mauerweg´ markiert, die sich auf der ehemaligen Mauerhöhe in exakt 3,60 Metern befinden. Schwierig wird das intuitive Finden, das augenscheinliche Erkennen des ehemaligen Grenzstreifens. Grundstücke wurden mittlerweile ausgeweitet, der ehemalige Kolonnenweg überteert. Unterwegs treffen wir auf die ´Wächter des Wegs´. Menschen, die in Bürger- oder Einzelinitiativen in mitunter unbeachtetem Engagement die neu entstehende Landschaft pflegen. Im Dialog mit der Vergangenheit entstehen Plätze des Heute und Orte des Morgen. Am Britzer Zweigkanal nahe des ehemaligen Grenzübergangs Sonnenallee entdecken wir ein Insektenhotel.
Biegt man kurz darauf am Teltowkanal ab, wird man mit einem dunklen Kapitel neuerer Berliner Stadtplanung konfrontiert. Direkt nach der Wiedervereinigung wurde es versäumt, die auf dem ehemaligen Sperrgebiet entstandene einzigartige Landschaft unter Schutz zu stellen und über die Zukunft dieser innerstädtischen ´Narbe´ nachzudenken. Aufgrund der billigen und recht problemlosen Aneignung der ehemaligen Mauergrundstücke wurde die A 113 mitten durch eine Naturidylle geplant, gebaut und am 23. Mai 2008 für den öffentlichen Verkehr freigegeben.
Nur wenige Politiker dachten nach dem Fall der Mauer ´über den Tag hinaus´, wie z.B. Willy Brandt, der am 10. November 1989 anregte: „ein Stück von jenem scheußlichen Bauwerk […] als Erinnerung an ein historisches Mostrum stehen (zu) lassen. […] Denen, die heute noch so schön jung sind, und denen, die nachwachsen, kann es nicht immer leicht fallen, sich die historischen Zusammenhänge, in die wir eingebettet sind, klarzumachen.“ Ganz in diesem Sinne ließ Michaele Schreyer (Grüne; 1989-1990 Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz) die Mauer an der Niederkirchnerstraße unter Denkmalschutz stellen – nicht ohne dafür erbittert angefeindet zu werden. Heute zeigt die Niederkirchnerstraße einige der letzten originalen Überreste der Berliner Mauer im Zentrum Berlins.
Nachtrag 1: Mit einer sehr umstrittenen Bilanz der Verkehrssenatorin zum einjährigen Bestehen der BAB 113 will Ingeborg Junge-Reyer den Weiterbau der A 100 begründen (Berliner Morgenpost vom 16.07.2009)
Nachtrag 2: Im § 14 Abs. 3 des Grundgesetzes steht: „Eine Enteignung [von Eigentum] ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Vergleicht man die Proteste gegen Enteignungen im Zuge eines Autobahnbaus mit denen gegen die Einrichtung eines ´historischen Schutzgebietes´, ist man verblüfft. So scheint der Autobahn(aus)bau dem Wohle der Allgemeinheit mehr zu dienen, als der verantwortungsvolle Umgang mit der eigenen Umwelt und Geschichte. Geht die Rechnung auf?
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Berlin, das weckt Erinnerungen ... ist schon eine faszinierende Stadt. Ein Teil ihrer Faszination begruendet sich auf nicht so glorreiche Augenblicke, wie die Geschichte und euer Blog lehrt. Heutzutage (finde ich) fuehlt man sich aber an wenigen Orten so frei wie in Berlin. Und das es sowas wie ein 'Insektenhotel' (auch noch mit dem Namen) gibt ist echt typisch! Ich hoffe ihr fuehlt euch wohl im Dicken B und vielleicht sieht man sich ja mal wieder.
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